Daheim ist es immer noch am besten
Nach einem anstrengenden Weihnachtsfest fuhr ich am Tag vor Silvester mit dem Zug nach Hause zurück. Voll bepackt, mit Rucksack, Laptop, Reisetasche und überdimensionalem Wolfskalender hatte ich glücklicherweise einen Sitzplatz im IC erwischt. Und so vertiefte ich mich in Bernhard Schlinks Liebesfluchten, aus denen ich panisch wieder hervortrat, da ich fast meinen Bahnhof, in dem ich umsteigen musste, verpasst hätte. Die Frau, die mir gegenüber saß und aussteigen wollte, wird nie erfahren wie dankbar ich ihr bin. Die Verwirrung, wahrscheinlich aufgrund der Liebesfluchten, nahm seinen Lauf, da ich erst kurz bevor der RE ankam, realisierte, dass ich die ganze Zeit über am falschen Gleis gewartet hatte. Überrascht war ich jedoch, wie schnell ich mich trotz des Bepackungszustands bewegen konnte, gegrüßet sei das Adrenalin, dem ich es auch verdankte, dass ich meinen Zug noch rechtzeitig erwischte.
In meiner Heimatstadt angekommen pflanzte sich das Unglück fort, nahm ich doch glatt den falschen Bus, wodurch ich den Bepackungszustand noch einige Zeit genießen durfte. Als ich endlich an meiner Haltestelle ankam, freute ich mich darauf, dass jetzt ja eigentlich nichts mehr passieren könnte. Gerade in dem Augenblick, als ich aus dem Bus stieg, jedoch, kam mir eine Horde Jungen entgegen. Und da Silvester nicht mehr fern war, spielten sie ausgiebig mit Böllern. Da erwachte die Erzieherin in mir, und so warf ich dem Anführer einen tadelnden Blick zu. Dieser durchschaute meine Situation besser als ich, denn unbeeindruckt zündete er einen Böller an und warf ihn zielgerecht vor meine Füße. Der D-Zug kapitulierte, ein erneuter Spurt erschien aussichtslos. Aber um meine Ehre zu retten, ignorierte ich die Knallerei und ging heim.
Zu Hause bemerkte ich erst wie hungrig ich war, also eilte ich zu Fuß zum nächsten Lidl- Markt. Unterwegs (wenn einmal ein Chaos ausbricht sollte man tunlichst versuchen, sich nicht mehr zu bewegen) trat ich in einen Hundehaufen, den ich natürlich irgendwie wieder loswerden wollte-. sehr zur Belustigung der Leute, denen ich begegnete, denn ich humpelte und zog den Fuß kräftig nach, um meine Spuren von dem Schuh und auf die Straße zu bekommen.
Man glaubt es kaum, aber beim Einkauf verlief alles glatt. Erst als ich zurück in meinen vier Wänden war und ich einen Löffel für meine Raviolidose suchte, wurde ich wieder an das Chaos erinnert, kam mir doch aus dem Hängeschrank das ganze Besteck entgegen, welches ich (ich danke an dieser Stelle herzlichst für meine Erziehung) auffangen wollte. Nachdem ich mich verarztet hatte (lege niemals ein Obstmesser zu den Löffeln) und ich das Besteck wieder gesäubert und im Schrank verstaut hatte, wurde ich ruhiger. Und auch hungriger. In dem Päckchen, das mir meine Oma liebenswürdigerweise zu Weihnachten geschickt hatte, befand sich auch eine Tüte mit Raffaello, also was lag näher, als sich zu bedienen. Das erste Raffaello schmeckte seltsam, leicht ranzig, und auch das zweite, das ich zur Bestätigung des ersten verzehrte, deckte sich geschmacklich mit dem ersten. Ein Blick auf das Mindesthaltbarkeitsdatum überzeugte mich davon, die gesamte Tüte zu entsorgen.
Vom Schicksal beleidigt wollte ich wenigstens meinen Durst löschen, jedoch kostete der Versuch, den Hängeschrank um ein Glas zu entledigen, meiner Lieblingstasse Henkel. Ich war verzweifelt und dachte über mein Leben nach. In solchen Situationen empfiehlt es sich, inne zu halten. Mir kam der vorherige Tag in den Sinn. Bei meinen Eltern hatte es geschneit. Also waren meine Mutter und ich durch den Schnee gegangen- und durch das Eis, denn als meine Mutter, die zielstrebig voran schritt, sich umdrehte, war ich weg, vom Eis in die Knie gezwungen. Da hatte das Unheil begonnen. (Manchmal empfiehlt es sich, nicht inne zu halten, sondern nach vorn zu blicken)
Ich legte mich ins Bett, fasste bis auf meine Ravioli und meine Schuhe, die ich säubern musste, möglichst nichts mehr an. Als ich am nächsten Tag aufwachte, war ich paranoid. Überzeugt davon, dass dies mein letzter Tag sein könnte, bewegte ich mich im Zeitlupentempo, achtete auf jeden meiner Schritte. Auch als ich leider zu einem Laden musste, weil mir die Milch ausgegangen war, hatte ich das Gefühl, mein letztes Stündchen hätte geschlagen. Nichts passierte. Ich war paranoid. Ich brauchte Pillen gegen meinen Zustand. Bis mir ein Pärchen entgegenkam. Was an sich nicht schlimm war. Schlimm war jedoch, dass sich die Frau, just als sie an mir vorbei ging, mir zuwandte und mir vor die Füße kotzte! Ich hechtete zur Seite, unfähig, etwas an dem Ausgang zu ändern. Aber der Versuch zählt.
Zu Hause angekommen zog ich mich im Türrahmen aus, verstaute alle Sachen vorerst in einen Müllsack und säuberte meine Schuhe. Mal wieder. Ich hatte genug.
Nächstes Mal fahre ich wieder mit dem Auto, den Hundehaufen wird der Krieg erklärt (wenn ich einen Bettvorleger je dabei erwischen sollte, dass der sich auf dem Gehweg entleert, setzt es einen) und Silvester wird gestrichen.
by C.G.