Die Matratze
Worin wir lernen was ein Kunde ist
Es hat mich erwischt. Voll und ganz. Dabei dachte ich, ich sei gefeit gegen jedwede Versuchung. Ich sei immun. Ich bin es nicht.
Die Hintergründe sind schnell erzählt. Der Job hatte mich in eine ferne und fremde Stadt verschlagen. Eine lange Zeit war ich nicht einmal wirklich angekommen, denn es dauerte fast ein Jahr, bis ich erkannte, dass diese Stadt eine Fußgängerzone besitzt. Nun ja, man kann nicht alles wissen. Und im Übrigen dauerte mein Arbeitsvertrag ja nur zwei Jahre, was zu einem Kernproblem wurde. Ich brauchte eine Matratze, 120x200. Eine Verlängerung war geplant, aber noch nicht umgesetzt. Eine Verlängerung des Vertrages, nicht der Matratze. Ich wachse nicht mehr, jedenfalls nicht äußerlich. So eine Matratze ist ja nicht gerade günstig und hat man, wie ich, Rückenprobleme und ist zu allem Überfluss liebend gern Bauchschläferin, vervielfältigen sich die Sorgen. Auf unzähligen Matratzen habe ich Probe gelegen, habe mich gewälzt, habe meinen Rücken und andere Körperstellen befragt. Heraus kamen zwei verschiedene Dinge, erstens war keine halbwegs geeignete Matratze unter 550 Euro zu bekommen, zweitens werden für Bauchschläfer Spanplatten empfohlen. Die sind, ganz ernsthaft, recht bequem, und ich war kurz davor, diese Lösung in Erwägung zu ziehen. Bis ich mich umdrehte. Da dachte ich, es knackt. Und das wäre nicht das Brett gewesen. Na gut, überlegte ich, angesichts der fehlenden Fakten der Vertragsverlängerung, ich warte noch. Ich muss mich ja nicht sofort entscheiden. Aber ich tat es doch, ganz unverhofft und unvorhergesehen. Schuld war ein Prospekt.
Ich sah meine Matratze das erste Mal, als ein geringfügig Verdienender seine beflissene Pflicht erfüllte, und ich daher den Prospekt in meinem Briefkasten vorfand. Die Matratze hat einen 7-Zonen-Kompfortkern und war von über 1200 Euro auf 300 Euro heruntergesetzt worden. Ein Schnäppchen war es, mit allem drum und dran. Sogar einen Schnäppchenzeitraum gab es. Alles, um die Kunden in Versuchung zu führen.
Neulich sah ich einen Bericht, in dem diese Schnäppchenjagd thematisiert worden war. Bei Schnäppchen setzt bei vielen Menschen der Verstand aus. Bei mir natürlich nicht, denn ich bin anders. Die Aussicht auf ein Schnäppchen spricht unser Belohnungszentrum im Gehirn an, und dieses möchte die Belohnung sofort und unverzüglich erhalten. Der besorgte Interviewer fragte einen Psychologen, ob Menschen denn zu keinen Gegenmaßnahmen fähig seien. „Doch“, antwortete dieser, „gehen Sie einmal um den Block.“
Ich ging nicht nur einmal um den Block, ich schlief eine Nacht darüber. Über meine Matratze. Ich wachte auf und dachte an meine Matratze. Dann entschied ich, zum Möbelgeschäft zu fahren, um einmal Probe zu liegen. Ich fuhr hin, ging zielstrebig mit dem Prospekt in der Hand auf die Matratzenabteilung zu und wurde von einer Verkäuferin noch zielstrebiger abgefangen. Ich legte mich auf die Matratze und erstaunlicherweise sagte mein Rücken nichts. Ich drehte mich, drehte mich nochmal und wurde in Bruchteilen einer Sekunde zur Traumkundin der Verkäuferin. Beim Aufsetzen des Kaufvertrages wollte sie gern eine Anzahlung auf die ca. 7 Wochen später lieferbare Matratze. Gute Frau, am Geld hapert es bei mir nicht! Aber sie bekam was sie wollte und strahlte noch mehr.
Gut gelaunt fuhr ich nach Hause. Ich hatte eine Matratze. Zwar noch nicht sofort, aber doch bald.
Zu Hause angekommen ordnete sich allmählich, was vorher außer Kraft gesetzt worden war. Ich fragte mich, was ich eigentlich für ein Produkt gekauft hatte. Der Verkäuferin hatte ich keine einzige Frage zu dem Produkt gestellt. Zu Schwitzen fing ich erst an, als ich diese Matratze weder im Internet finden konnte (bis auf einen Verweis auf eine Joint Venture Firma) noch auf der Möbelhaus-Homepage, trotz angegebener Artikelnummer im Prospekt. Panik ergriff mich. Man hatte mich überlistet. Dieser Prospekt war nicht das Papier wert, auf dem er gedruckt worden war. Allenfalls zum Heizen der heißen Luft der verführerischen Buchstaben hätte er getaugt. Mir ging es elendig. Ich war eine von vielen.
Nun meldete sich meine Sturheit. Wann lernt man am besten? Wenn man die Konsequenzen seines Verhaltens trägt. Mutig und sehr lernbereit verbrachte ich die darauf folgenden sieben Wochen reuevoll und wartete. Dann kam die Mitteilung, sie sei lieferbereit. Ich war geliefert, denn die winzig kleine Hoffnung, dass ich ohne zu flüchten aus meiner Misere herauskommen könnte, zerschlug sich damit. Ich war einverstanden. Sie tauschten- alt gegen neu. Ich dachte: Selbst die alte ist besser als die neue, äußerte mich aber besser nicht. Auch Offenheit hat ihre Grenzen.
Sie kamen und gingen. Dann war ich allein. Mit ihr. Mit meinem Feind.
Was dann kam ist schwer in Worte zu fassen. Nach der Feststellung, dass ich eine pure Schaumstoffmatratze gekauft hatte, die ihre 7-Zonen durch unterschiedliche wellenförmige Aussparungen im Schaumstoff erhalten hatte, folgte eine weitere. Nach einer Eingewöhungsnacht stand fest, dass ich tatsächlich auf ihr schlafen konnte. Ohne Rückenschmerzen. Zum ersten Mal seit ich mein altes Bett wieder heraus gekramt hatte (Umzug). Damit hatte ich nicht gerechnet!
Seit dem fühlt sich mein Körper wieder gut. Aber mein Wesen leidet. Weil ich gefährdet bin. Weil ich eine von vielen bin. Gewisse Wahrheiten sollten besser unentdeckt bleiben. Aber hartnäckig versuche ich, die nicht vorhandene angeborene Immunität durch eisernen Willen nachträglich zu erwerben. Glück hin oder her.
Übrigens ist die Vertragsverlängerung glatt durchgegangen.
by C.G.