Der ungewollte Umzug
Es kommt wie es kommen muss
Ich lebe nun fernab von allem Bekannten und Vertrauten. Betonen möchte ich, dass ich nur bedingt freiwillig hier bin, seit meinem Umzug aus NRW und dem Beginn des Studiums wollte ich nichts sehnlicher als nach getaner Arbeit zurück in meine Heimat zu ziehen. Doch nach dem gewollten Studium in Niedersachsen bin ich nun im ungewollten Baden-Württemberg gelandet. Dieses Bundesland ist möglicherweise meine Nemesis, sobald ich den Namen sehe frage ich mich, was wäre wenn ich damals bei meiner Bewerbung nicht per Copy und Paste sondern per Rechtschreibung? Setzen, sechs, gehandelt hätte.
Nicht einmal meine Gesichtscreme lässt sich ohne Probleme kaufen, und auch die Einblicke in den hiesigen Dialekt sind eher als befremdlich einzustufen. „Doa woar ä Pärle“, sprach mein Kollege, und ich antwortete ganz irritiert: „Da war eine Perle?“ Generell habe ich ein Problem, denn ich verstehe die Menschen nicht. Und dabei geht es nicht nur um den Dialekt, sondern auch um die Denkweise. Ich gebe ein Beispiel. Voller Wehmut war ich bereit, meine neuen Kennzeichenschilder zu beantragen. Nach typischer Jungfrauenart erkundigte ich mich im Internet was ich alles mitzubringen hätte. Ich weiß nicht wie viele vergebliche Stunden ich mit der Suche der gültigen AU- Bescheinigung verbrachte. In einer Nacht und Nebelaktion fand ich heraus, dass ich sie im Oktober dieses Jahres erneuern muss. Was mich zu dem Schluss führte, dass ich letztes Jahr in Niedersachsen, eine habe durchführen lassen müssen. Jegliche Erinnerung daran fehlte, schwarz ist es in mir. So sehr ich mich auch bemühte, nichts. Und doch klebte der Beweis an meinem Kennzeichenschild. Mir blieb keine andere Wahl und ich versuchte mein Glück ohne gültige Bescheinigung beim Bürgercenter. Ich wusste ja gar nicht, dass manche Autos nur alle zwei Jahre zur AU müssen. Nun gut, ich glaube, das ist auch gerechtfertigt, hat mir doch A.T.U. kürzlich 920 Euro für den gesamten Auspuff incl. Kat abgeknöpft. Irgendwo muss man ja sein Geld wieder reinholen. Jedenfalls fragte mich der Beamte vom Bürgercenter dann: „Fahren Sie in die Stadt?“ Ich war verwirrt und antwortete vorsichtig: „Heute?“ Ich fragte mich, ob ich etwas für ihn besorgen sollte oder ob es eine mir noch unvertraute Behörde in der Stadt gab, die ich aufzusuchen hätte. Er: „Ja, zum Beispiel heute.“ Meine Verwirrung wurde zunehmend größer, aber ich bejahte. Er: „Dann brauchen Sie eine Feinstaubplakette. Ich kann Ihnen eine geben.“ Ich brauche vor allem klarere Ansagen. Alles andere ist mir zu verwirrend. Ganz abzusehen von den zwei Kilometern bis zur Feinstaubgrenze, die sich auf Dauer schwerlich umgehen lassen wird. Übrigens lassen sich alte Feinstaubplaketten am günstigsten mit Nagellackentferner lösen. Alle anderen Versuche meinerseits waren zum Scheitern verurteilt.
Aber ganz erstaunliche Dinge habe ich erlebt. Bei Aldi (Süd) gibt es grundsätzlich Biogemüse, das den Ökotest mit hervorragend bestanden hat. Das Gemüse muss nach dem Test noch einige Zeit als Ausstellungsstück Verwendung gefunden haben. Jedenfalls hat man dort die Wahl: Biomöhren oder keine Möhren. Interessanterweise kommen diese aus Portugal. Ich würde zu gern wissen, wie sich das mit der Geschäftspolitik verträgt. Übrigens schmecken diese keinesfalls besser als andere Möhren, man kann nichtmal sagen, sie haben vermutlich mehr Sonne abbekommen, wachsen sie doch in der Erde. Jedenfalls wird man bei Aldi ein Vermögen bei seinem wöchentlichen Einkauf los. Ich bin entschieden auf der Seite des anderen Bruders, warum auch immer sie sich zerstritten haben. Aber neben der ganzen Jammerei muss ich eines nahtlos anerkennen, bei Aldi an der Kasse zu arbeiten kann keinen geringen Stellenwert haben, ich habe Verkäufer erlebt, die das Wechselgeld ohne auf das Display zu schauen, korrekt ausgegeben haben. Aber Dosenöffner sollte man bei Aldi Süd nicht kaufen, jedenfalls ich nicht.
Wer mein Händchen für Glück kennt, den wundert es nur wenig, dass just in dem Moment, als ich in meine neue Wohnung einzog, eine Wasserrohrsanierung im ganzen Haus angekündigt wurde. Diese Sanierung diente u. a. dem Zweck, das Verantwortungsbewusstsein und das Prinzip der natürlichen Folgen einem Menschen näher zu erläutern. Sprich: Sorgst Du nicht dafür, einen Wasservorrat zu haben, hast Du keinen. Die Baden-Württemberger Sanierungsmenschen sind wie alle anderen Menschen auch. Sie sagen sie kommen um 12 und um 14 Uhr musst Du immer noch dringend aufs stille Örtchen... oder zum Bürgercenter. Aber freundlicher als anderswo sind sie allemal. Da komme ich doch eines Abends nach Hause und finde eine Rose mit einem gerollten Pergament vor meiner Tür. Ich dachte an einen stillen Verehrer, meine Nachbarin, deren Wohnungsschlüssel ich mal hüten durfte. Ich drehte mich um. Vor der Tür meiner Nachbarin lag auch eine Rose. Meine Hoffnung, etwas Besonderes zu sein, schwand dahin. Also ich kann mich nicht erinnern, dass mir ein Handwerker mal eine Rose als Dank für die gute Zusammenarbeit geschenkt hätte. Böse Zungen könnten nun sagen: „Was für eine Zusammenarbeit? Man hat doch nicht viel von ihnen mitbekommen." „Nun ja“, würde ich entgegnen, „wo kein Wasser da auch freiwillig keine Menschen. Und ich musste eh zum Bürgercenter.“
Ungeachtet dieser denkwürdigen Momente ist eines seltsam. Im Gegensatz zu meiner gewollten Zeit in Niedersachsen versuche ich hier aktiv die Gegend kennenzulernen, nehme wahr, lerne den Dialekt zu verstehen (okay, habe ich denn eine andere Wahl?), werde vielleicht auch die Denkweise irgendwann vertrauter finden.
Aber ich weiß nicht ob ich wissen möchte warum…
by C.G.