Das Urinal


Einst hat ein weiser Architekt ein Urinal in ein Bad montieren lassen. Möglicherweise hat er den Unterschied zwischen Papier und Realität nicht ganz einschätzen können, möglicherweise entstammte er auch einem Geschlecht der Liliputaner mit unverhältnismäßig langen Beinen.
Das Bad besaß eine Schräge, die durch Dachbalken (Sparren) mit dazwischen liegendem Kellenputz betont wurde. Und genau an der Schräge war das Urinal positioniert. Ein Mann mit 1,65m Länge konnte an der Stelle nicht aufrecht stehen, ein männliches Kind hätte es erreichen können, wenn es nach oben gezielt hätte.
Es vergingen viele Jahre, ca. 28 an der Zahl, wobei die Erlebnisse rückblickend mit nur wenig notwendiger Fantasie mit Leben gefüllt werden könnten.

Eines Tages kam ich. Die Wohnung fand mich, und ich wusste es sofort. Trotz des Urinals.

Beim Einzug wurde außerhalb des Bads renoviert. Es standen nur eine endliche Anzahl an Händen sowie eine noch endlichere Anzahl an Tagen zur Verfügung.

In den folgenden 1,5 Jahren dachte ich bei jedem Aufsuchen des Bades an das Urinal. Das könnte damit zu tun haben, dass es sich immer noch gut sichtbar dort befand. Den gut gemeinten Vorschlag, vor das Inventar ein Möbelstück mit ausgesägter Rückwand zu stellen, verwarf ich. Wenn schon leiden, dann richtig.

Fronleichnam haben wir einer plötzlichen Eingabe folgend das Urinal von der Wand genommen. Das fühlte sich großartig an. Bis ein paar Tage später die Fliegen kamen. Es ist nämlich so, dass beim Abfluss ein U-förmiges Rohrstück als Geruchsneutralisator so ein Urinal vom Abwasser trennt. Das funktioniert einwandfrei, bis kein Wasser mehr nach kommt und es zu einem stehenden Gewässer kommt, in dem diverse Eier von unbekannten Lebensformen gelegt, geschlüpft und fertig entwickelt werden können.

Was soll ich sagen, ich bin keine Handwerkerin. Doch das hält mich manchmal nicht auf. Davon können Lebensformen profitieren. Kurzzeitig.

Es folgte ein Auftrag bei myHammer bezüglich der Stilllegung des Urinals. Niemand meldete sich. Dem Handwerk kann es nicht wirklich schlecht gehen.
Ich schrieb persönliche E-Mails. Jemand erbarmte sich- und besichtigte die Lage Vorort. Mir wurde gesagt, dass das an einem Tag erledigt werden konnte. Ich glaubte es, alles kein Problem. Aber das T-Stück müsste gefunden werden, denn aufgrund der Legionellengefahr dürfe es keine toten Leitungen geben. Eine wirkliche Aufwandsabschätzung konnte aufgrund der anstehenden Suche nicht gegeben werden.

Ich besorgte Fliesen und nahm mir Urlaub, war voller Zuversicht. Ich sag nur, zwei Gewerke. Einige wissen nun schon Bescheid. Alle anderen lernen mit mir.
Zwei Handwerker kamen und suchten das T-Stück. Sie suchten eindringlich, Fliesen verließen die Wand. Sie suchten bis die Leitung im Boden verschwand. Der eine Handwerker bot mir enthusiastisch an, mir einen Waschmaschinenanschluss zu legen. Was soll ich denn an der Stelle mit einer Waschmaschine? Okay, dann macht mir halt einen einzelnen Kaltwasserhahn da hin. Aber den Abfluss will ich nicht. Wisst Ihr, die Fliegen...

Sie verspachtelten mit Schnellzement, kauften einen Wasserhahn, kamen und fuhren. Der Fliesenleger erschien und stellte fest, dass er so ja gar nicht arbeiten könne. Erstens sei das alles nicht gut genug verputzt, zweitens sei das Verputzte ja noch gar nicht getrocknet. Okay, er fuhr und besorgte Schnellzement. Danach sah die Wand ordentlich aus. Fort war der Fliesenleger. Ein neuer Termin musste gefunden werden. Ich habe nur eine endliche Anzahl an Urlaubstagen und der Meister hätte vorher wissen müssen, dass die zwei Gewerke nicht an einem Tag fertig gestellt werden konnten.

Zwei Wochen später kam der Fliesenleger erneut. Nun habe ich anders farbene Fliesen und einen Wasserhahn.

Aber das Urinal ist weg.




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