Die Digitalkamera


manche Entscheidungen verändern nachhaltig


Es begann mit der Digitalkamera. Mein letzter Urlaub war entscheidend für die Beerdigung meiner alten. Was mir sehr schwer gefallen ist. Denn ich hänge an allem. An alten Sachen, an den Erinnerungen. Ich bringe es fertig, eine alte Decke, die mein Kaninchen, das vor mehr als zehn Jahren das Zeitliche gesegnet hat, angeknabbert hat, zu behalten und rauszuholen, wenn ich Besuch bekomme. Nun ja, mancher Abschiedsschmerz dauert halt etwas. Noch ein Beispiel. An meiner Küchenlampe hängt ein Hase in Form zweier gelber Pompons und brauner Filzglieder. Dieser Hase ist ein Erinnerungsstück aus meiner Kindergartenzeit. Allerdings aus der, in der ich selbst dort gearbeitet habe. Das ist nun fünfzehn Jahre her. Eine Bekannte äußerte mal, in meiner Wohnung hätte alles seine Bedeutung. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. Für mich sollten Dinge erfunden werden, die niemals kaputt gehen. Gleiches gilt für meinen alten Fernseher. Er hat noch alte Bildröhren, hat aber Farbe und ein gestochen scharfes Bild. Aber auch ein hohes Geräusch, wenn er läuft. Wenn er nicht läuft, ist er kaputt. So wie jetzt. Ich hatte ihn als Zweitgerät meinen Eltern geschenkt, oder besser auf unbestimmte Zeit geliehen. Nach kurzem Einsatz ging wieder die Röhre kaputt. Nun haben sie ein Problem, sie lassen ihn nicht reparieren, weil die Reparatur nur eines nicht übersteigen würde- den emotionalen Wert des Gerätes. Aber da sie selbst diesen Wertgedanken eben nicht in sich tragen, jedenfalls nicht, was das Gerät angeht, aber auf der anderen Seite eben genau diesen haben, was ihre Tochter angeht, fristet der Fernseher ein nutzloses Dasein hinter verschlossenen Türen, nicht aber im Elektromüll.

Jedenfalls musste eine neue Digitalkamera her, weil die alte durch nichts und Niemanden zum Funktionieren überzeugt werden konnte. Nach langem Überlegen- Lebensentscheidungen wollen schließlich gut durchdacht sein- entschied ich mich für eine neue. Amazon freute sich und ich freute mich über die Packstation. Alles ging glatt. Ich freute mich genau so lange, bis ich die Kamera an mir selbst ausprobierte. Manche Selbstversuche sollten genehmigungspflichtig sein. Danach war ich nicht mehr dieselbe. Ich finde, der automatische Blitz sollte in bestimmten Situationen verboten werden. Ich entschied, dass eine Änderung eintreten müsse. Einige Tage später besprach ich die Lage mit zwei Kolleginnen. Beide waren gegen das Färben. Beide sind älter als ich. Eine von beiden hat Erfahrung. Die andere wurde verschont. Das Leben ist ungerecht. Vielleicht mache ich mir zu viele Gedanken. Vielleicht liegt mein Problem daran. Oder an den Genen. Die Gengeschichte gefällt mir besser. Die Kolleginnen sind für Strähnchen. Ich muss nachdenken. Die erfahrene Kollegin bietet mir eine Probe des farbintensivierenden Schampoos ihrer Tochter an. Ich nehme an und frage nicht wieso. Am nächsten Tag fühle ich mich wie ein neuer Mensch- allerdings mit juckender Kopfhaut. Ich frage meine männlichen Kollegen ob sie die Veränderung sehen. Einer zieht sich dezent in die neutrale Ecke zurück, der andere lügt. Ich werfe das Schampoo weg. Ich muss nachdenken.

Ich bin ein Mensch, der in bestimmten Situationen seines Lebens durch Listen überlebt. Und seit schätzungsweise zwei Jahren hängt an meinem Kühlschrank eine Liste, auf der alles bis auf eine Sache durchgestrichen ist. Und die vorletzte Sache wurde ebenfalls vor etwa zwei Jahren für erledigt erklärt. Die eine Sache, die noch fehlt, wird mit zunehmendem Alter schwieriger werden. Weil man dann irgendwann meint, man möchte und braucht mehr, aber der Körper eigentlich nur gegen das Unvermeidliche kämpft. Dass er eben weniger braucht. Vielleicht kämpft dann auch nur der Verstand. Oder beides.

Also mir reicht es. Noch ist es nicht so weit. Auch wenn die Digitalkamera drohende Fotos produziert. Ich ergebe mich nicht kampflos. Ich sollte wieder anfangen, laufen zu gehen, auf den Zucker, den sichtbaren und den indirekten, verzichten, auf das Fett sowieso, meine Haare mit ordentlich gefärbten Strähnen versehen und meine Angelegenheiten erledigen.

Zukünftig sollte ich intensiver über Lebensentscheidungen nachdenken.

Immerhin werde ich dieses Jahr Vierzig.

by C.G.

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